Zwischen den Zeilen

Als ich im Juli 2013 das Angebot bekam dieses Buch zu schreiben, hätte ich nie gedacht, wohin mich die Geschichte rund um Edward Snowden wohl führen würde. Am Ende glich die Arbeit an dem Manuskript einer großen Reise. Einer Reise in Abgründe, in die Höhen und Tiefen deutsch-amerikanischer Geschichte und Geheimdienstarbeit. Die Arbeit an diesem Buch war aber auch ein Selbsterfahrungstrip ins eigene Gewissen, in die eigenen Moralvorstellungen und vor allem in den eigenen Umgang mit Smartphone und Laptop.

Es ist absurd: Wir schließen unsere Wohnungstür ab, ziehen unsere Vorhänge zu. Wir verschicken verschlossene Briefe, stellen die Privatsphäre Einstellungen bei Facebook auf hoch und wir versehen unseren E-Mail Account mit einem Passwort. So mache ich es zumindest und finde ganz klar, an diesen Orten beginnt mein privater Raum.

Ich recherchiere ja seit Jahren schon zu Facebook und Co.: 2011 habe ich eine Dokumentation zu dem Aufsteiger aus dem Silicon Valley gedreht, habe mir einmal für einen Beitrag für den „Ratgeber Internet“ die Spionagefunktionen von Apps erklären lassen und beschäftige mich (auch privat) mit den Tracking-Funktionen unterschiedlicher Geräte. Dass wir vor den Unternehmen, die uns all diese praktischen und schönen Produkte verkaufen nicht privat sind, ist mir und den allermeisten Internetnutzern mittlerweile bewusst. Damit haben wir uns abgefunden.

Die Geheimdienste sind längst drin

Ja, Facebook liest mit; ja, Amazon kennt meine Wünsche; ja, Google weiß über meine Sehnsüchte und Ängste Bescheid. Trotzdem gehen wir ganz selbstverständlich und offen mit diesen Diensten um. Wir wiegen uns in Sicherheit, dass nur das jeweilige Unternehmen unsere Daten kennt, sammelt und auswertet. Dass damit schon nichts „Schlimmes“ geschieht. Nicht auszudenken, was es bedeuten würden, wenn jemand Zugriff auf all diese Daten hätte: Wir wären fortan gläserne Bürger als Konstrukt unserer digitalen Fußspuren.

Als schließlich im Juni 2013 der Whistleblower Edward Snowden mit Hilfe der Journalisten Laura Poitras und Glenn Greenwald scheibchenweise interne Geheimdienstdokumente veröffentlicht, wird donnerschlagartig klar: Das Passwort für unseren Facebook-Account, unser abschließbares Email-Postfach, unsere „anonyme“ Googlesuche, alles nur eine Farce. Ein Sicherheitsbrimbamborium fürs gute Gewissen. Denn die Geheimdienste sind schon längst drin.

Für das Buch habe ich mit unzähligen Experten genau darüber gesprochen. Was könnte die NSA mit diesen Daten alles machen? Und was macht sie tatsächlich damit? Kryptografen, Aktivisten, Sicherheitsexperten, Historiker und Investigativjournalisten – sie lieferten die Puzzleteile für das große Bild, das ich in meinem Buch aufzeichne. Obwohl ich mich jetzt schon so lange und intensiv mit dieser Thematik beschäftige, war ich während der Recherche oft überrascht und auch entsetzt, was möglich ist und was auch selbstverständlich getan wird.

Lösche ich jetzt meinen Facebook-Account?

Und natürlich habe ich mich dabei auch immer wieder gefragt, was tun? Lösche ich jetzt (endlich) meinen Facebook-Account? Benutze nie wieder die Google Suche? Schmeiße ich mein Smartphone aus dem Fenster, schneide meinen Laptop komplett vom Internet ab? Nein, natürlich nicht. Natürlich nutze ich auch diese Dienste weiter. Aber die Haltung, die ich bei vielen Freunden beobachte: Was interessieren sich NSA-Agenten in ihren staubigen Büros für meine Urlaubsfotos oder meine Kinderfotos? Diese Haltung ist definitiv gefährlich.

Denn bereits jetzt greifen die Geheimdienste in ihrem „Terrorwahn“ unsere Demokratie und bürgerliche Freiheit mit ihrem umspannenden Überwachungsnetzwerken empfindlich an. Die Chancen stehen sehr gut, dass wer sich gesellschaftlich engagiert, zum Beispiel bei Amnesty International oder bei Greenpeace, digital überwacht wird. Und alle Facebook-Freunde gleich mit. Das ist eine Entwicklung, die uns zu denken geben sollte. Sie beginnt an den Rändern unserer Gesellschaft. Ihre Auswirkungen werden wir erst bemerken, wenn es zu spät ist.

Buchtitel Überwacht und Ausgespäht Titelbild