Anatomie eines Verbrechens

Am 21. November 2006, so belegen es unsere Recherchen, trifft sich eine kleine Riege von VW-Motorenspezialisten: Es gilt auf dem US-Markt erfolgreich zu werden. Das Problem ist der hauseigene Dieselmotor, der die strengen US-Grenzwerte (was den Ausstoß von Stickoxide betrifft) nicht einhält. Sie fällen eine folgenschwere Entscheidung.

Eine kleine Manipulation in der Software des Autos scheint die schnelle und vor allem billige Lösung zu sein. Man ist sich sicher, niemand wird den Betrug bemerken (dazu muss man wissen, dass 2006 die Prüfmethoden auch noch nicht so fortgeschritten waren, wie heute).

Das Auto soll fortan erkennen, wann es auf dem Prüfstand steht und getestet wird. Ist dies der Fall, fährt es in einem sauberen Modus. Hält die strengen Grenzwerte ein. Auf der Straße aber fährt es dreckig.

Durch die Universität West Virginia wird dieser Betrug im Frühjahr 2014 aufgedeckt - Anstatt sofort aufzuklären, verschleiert und vertuscht VW monatelang - führt sogar Anfang 2015 in den USA eine Softwareaktualisierung durch, die Probleme “beheben” soll. Im September 2015 kommt alles durch die US-Behörden ans Licht. Der Rest ist Geschichte.

Die Nadel im Heuhaufen

Wir haben uns gefragt: Was genau ist während dieses mysteriösen Softwareupdates in den USA Anfang 2015 geschehen? Denn VW ist damals schon in ausführlichen Verhandlungen mit den US-Umweltbehörden. Eigentlich soll man das “Problem” mit den Stickoxiden beheben. Führt eine aufwendige und teure Rückrufaktion durch. Trotzdem aber können die Grenzwerte danach immer noch nicht eingehalten werden.

Wozu das Ganze also?

Dem wollten wir auf die Schliche zu kommen.

Universitäten mit spezifischen Lehrstühlen zum Thema Auto und Motor stehen in Deutschland in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis mit der Industrie. Teilweise bekommen die Lehrstühle Forschungsgelder oder andere Mittel, teilweise gibt es enge Kooperationen. Keiner kann und will es sich mit der Industrie verscherzen. Im Fernsehen einen Betrug aufdecken, Interviews geben - damit würden sich viele selbst schaden.

Anders bei Lehrstühlen, die sich allgemeiner mit Software auseinandersetzen. Doch das Feld ist hier sehr breit. Es mussten Experten sein, die sich mit ganz spezieller Maschinensteuerungssoftware auskennen.

Schließlich enthält eine Motorsteuerung tausende Zeilen an Code, ist umfangreich wie eine Enzyklopädie, kompliziert zu lesen und zu verstehen. Der Code in der Steuerung ist nicht einfach lesbar, sondern muss zunächst “rückübersetzt” und dann (richtig!) interpretiert werden. Außerdem sind die wenigen Zeilen, die den Betrug ausmachen, die regelrechte Nadel im Heuhaufen.

Für den technischen Teil der Recherche konnten wir den Softwarespezialisten und Hacker Felix Domke gewinnen. Er hatte während des jährlichen Hackerkongresses (Chaos Communication Congress) in Hamburg bereits die Aufarbeitung des Skandals von Softwareseite geleistet. Hatte die Motorsteuerungssoftware seines eigenen VW Sharans analysiert und aufgezeigt, wo und wie Volkswagen den Betrug eingebaut hatte.

Gemeinsam mit einem weiteren Team von Spezialisten rund um Professor Thorsten Holz von der Ruhr-Universität Bochum machten sich die Experten daran die Software zu entschlüsseln.

Dabei arbeiten sie parallel, jeder soll unabhängig vom anderen auf seine Ergebnisse kommen.

Rechercheglück

Zum Glück hatte ein US-VW Händler das VW interne Rückrufdokument in einem VW-Forum (ja, so etwas gibt es!) ins Netz gepostet. Darin fanden wir vier äußerst wertvolle Zahlen. Die Nummern des spezifischen Updates. Mit Hilfe dieser Zahlen, konnten wir wiederum die Datei finden, die den Code für die Motorsteuerung enthielt.

Und die galt es jetzt zu entschlüsseln:

Codefragment des Softwareupdates mit der Nummer _7444

Wie sieht der Abgasbetrug im Code aus? Am Ende sind es wenige Zeile. Sie verstecken sich in einem Teil, der “Akustikfunktion” genannt wird. Ursprünglich war dieser Teil tatsächlich dafür benutzt worden, während des Fahrens auf der Straße für ein angenehmes Motorengeräusch zu sorgen. Auf dem Prüfstand aber war der Klang des Motors unwichtig, die Funktion konnte abgeschaltet werden. Und um zuverlässig zu arbeiten, musste sie den Prüfstand erkennen.

Wie aber erkennt ein Auto, ob es auf dem Prüfstand steht?

Um nachvollziehbare Abgastests zu gewährleisten, fährt der Prüfer auf dem Prüfstand einen genau vorgegebenen “Prüfzyklus” ab. Dieser soll möglichst das Fahren in der Stadt oder auf dem Land simulieren. Also ruckartig anfahren, bremsen, beschleunigen. Wie der Fahrer fährt, ist streng vorgegeben und die Daten für diese Prüfzyklen öffentlich.

Die Ingenieure bauten in den Code Funktionen ein, die diese spezifische Art des Fahrens erkennen können. Die nachvollziehen können, wie stark z.B. beschleunigt, wie stark gebremst wird, welche Geschwindigkeiten der Fahrer in welcher Zeit fährt.

Wie VW seinen Betrug fort entwickelte

Nun hatte VW das Problem, dass die Autos zu oft im “falschen” Modus fuhren. Sprich, auf der Straße dachten, sie seien in einem Prüfzyklus. Sie fuhren dann zwar “sauber”, belasteten allerdings Bauteile im Auto. Zum Beispiel rußten die Partikelfilter schneller zu. Dies wiederum führte zu verärgerten Kunden, die ständig in die Werkstatt mussten, um ihren Partikelfilter austauschen zu lassen. Die VW Ingenieure mussten also den Betrug erweitern. Sie mussten die “Akustikfunktion” ausbauen und damit dafür sorgen, dass das Auto noch zielsicherer erkannte, wann es auf dem Prüfstand steht und wann es auf der Straße fährt.

Sie erlaubten dem Auto zu erkennen, ob das Lenkrad sich bewegt. Denn: Auf dem Prüfstand steht das Lenkrad starr. Auf der Straße aber macht der Fahrer typische Lenkbewegungen. Immer also, wenn das Auto keine Lenkbewegungen feststellen konnte, der Motor aber lief und es die typischen Geschwindigkeiten fuhr, wusste es nun, dass es getestet wurde und schaltete in den “sauberen” Modus um.

Sowohl Felix Domke, als auch das Team um Thorsten Holz konnten unabhängig voneinander diese neue “Lenkwinkelfunktion” im Code nachweisen. Dafür verglichen sie die Software der Motorsteuerung vor dem Update und nach dem Update in den USA und konnten feststellen, dass an der Betrugsfunktion gearbeitet worden war. Das Auto erkannte jetzt den Lenkwinkel und brachte ihn in Verbindung mit der Abgassteuerung.

Kurven

Dieses Dokument, gezeichnet von Felix Domke, zeigt die spezifischen Prüfzyklen in den USA. Diese Zyklen sind in der Motorsteuerung hinterlegt. Bewegt sich das Auto innerhalb der Prüfzyklen weiß die Motorsteuerung, dass das Auto gerade getestet wird und schaltet in seinen “sauberen” Modus um.

Die Ergebnisse sind zu sehen in der Tagesschau und in den Tagesthemen - vom 10.03.2016

Und abschließend in der der Dokumentation der “VW-Krimi” im NDR Fernsehen - vom 25.05.2016